Was macht eigentlich... die ADHS-Ambulanz?

Viele Menschen assoziieren mit ADHS das Bild eines „Zappelphilipp“. Wie genau lässt sich diese Erkrankung beschreiben?

ADHS bedeutet Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom oder -störung. Laut eines international ankerkannten Klassifikationssystems (ICD) umfasst das Störungsbild drei Kardinalsymptome: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Zur Unaufmerksamkeit gehören beispielsweise Fragen wie: Wie ablenkbar ist das Kind? Wie häufig vergisst es Sachen? Hinsichtlich der Hyperaktivität spielt eine Rolle, inwieweit das Kind in Situationen herumläuft, in denen Sitzenbleiben erwartet wird. Impulsivität schließlich zeigt sich zum Beispiel darin, dass das Kind übermäßig viel redet oder nicht warten kann, sondern mit der Antwort herausplatzt, wenn es noch gar nicht an der Reihe ist.

Die Hyperaktivität ist das entscheidende Kriterium, um ADHS von ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) abzugrenzen. Beiden Erkrankungen sind aber Aufmerksamkeitsstörungen gemeinsam.

 

Auf Ihrem Wunschzettel an den Wundertiger vom Dezember 2022 war zu lesen, dass Sie im Verlauf der COVID-19-Pandemie mehr Anfragen für eine diagnostische Abklärung von psychischen Auffälligkeiten erhalten haben. Wie erklären Sie sich das?

Tatsächlich haben sich die Wartezeiten auch in unserer Ambulanz verdoppelt bis verdreifacht. Wir nehmen wahr, dass sich die Zahl psychischer Störungen allgemein erhöht hat, durch die die Kinder und Jugendlichen auffällig werden. Viele neigen zum Beispiel zum sozialen Rückzug oder zeigen depressive Symptome. Auch schulische und soziale Schwierigkeiten haben zugenommen, weswegen die Erzieher, Lehrer oder Kinderärzte eine Abklärung empfehlen oder auch die Eltern und Jugendlichen von sich aus zu uns kommen. Viele dieser Schwierigkeiten gab es auch schon früher im Zusammenhang mit ADHS. Der mangelnde soziale Kontakt während der Lockdowns, die Schulschließungen, die häusliche Situation oder auch Faktoren wie erhöhter Medienkonsum haben diese jedoch verstärkt. Manchmal sind es aber auch Probleme, die zunächst in gar keinem Zusammenhang mit ADHS stehen, wie zum Beispiel sprachliche Defizite, durch die die Kinder auffällig werden und letztlich zu uns in die Ambulanz kommen.

 

Wie gestaltet sich die Diagnostik, wenn die Kinder und Jugendlichen zur Abklärung zu Ihnen kommen?

Leitfragen bei der Diagnostik betreffen die Konzentrationsfähigkeit des Kindes, wie seine schulischen Leistungen bewertet werden, ob und inwieweit es verhaltensauffällig ist und ob es soziale Schwierigkeiten hat. Die Diagnostik ist sehr umfassend. Am Anfang steht ein ausführliches Anamnesegespräch, in dem die gesamte Entwicklungsgeschichte von der Schwangerschaft bis zur Vorstellung in der Ambulanz erfasst wird. Es folgen ein Intelligenztest, bei dem auch beispielsweise beobachtet wird, wie stark der Bewegungsdrang des Kindes ist, ein computergestützter Konzentrationstest, sowie eine Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktion in alltagstypischen Kontexten wie dem Spielen bei Vorschulkindern bzw. eine Hausaufgabensituation bei älteren Kindern und Jugendlichen. Aufschlussreich sind auch Fragebögen, die die Eltern, Erzieher oder Lehrer zu den Kardinalsymptomen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität bearbeiten. Daneben werden auch physiologische Untersuchungen durchgeführt. Ein EEG z. B. kann ggf. Hinweise auf abweichende Gehirnaktivitäten geben. Auch eine Blutuntersuchung und ein Seh- und Hörtest werden durchgeführt.

Auf Basis aller Ergebnisse führen wir zum Schluss ein ausführliches Beratungsgespräch mit den Eltern, an dem ggf. auch ältere Jugendliche teilnehmen können. Je nachdem, welche Symptomatik im Vordergrund steht, empfehlen wir weiterführende Maßnahmen wie z. B. Ergotherapie oder Neurofeedback, Psychotherapie oder eine kinder- und jugendpsychiatrische Vorstellung, wenn wir eine medikamentöse Behandlung für indiziert halten.

 

Warum spielt bei der Anamnese bereits die Zeit im Mutterleib eine Rolle? Wie entsteht ADHS?

Bei ADHS geht man inzwischen von einem biopsychosozialen Ursachenmodell aus. Dabei spielen die Genetik, Konstitution und der Dopamin-Stoffwechsel eine wichtige Rolle, aber auch Faktoren wie psychische und soziale Gegebenheiten und Persönlichkeitsmerkmale können das Erscheinungsbild beeinflussen. Das soziale Umfeld wirkt meist modifizierend ein. Auch Frühgeburtlichkeit z. B. hat sich als Risikofaktor für die Entwicklung von ADHS herausgestellt.

Oft zeigen sich erste Symptome bereits im Mutterleib oder als Baby und Kleinkind. Ein nicht geringer Teil der Babys schreit ungewöhnlich viel, und Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung haben häufig Probleme mit der Emotionsregulation oder zeigen Auffälligkeit beim Umgang mit ihren eigenen Bedürfnissen.

Die meisten Kinder sind im Grundschulalter, wenn sie für eine Erstdiagnose zu uns kommen.

 

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

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